Stunde der Entscheidung – Benjamin Capps

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Stunde der Entscheidung – Benjamin Capps

Rezension


Leseversion: HEYNE TB Band 2047
Originaltitel: Hanging at Comanche Wells (1962)
Verlag: Heyne
Übersetzung: Fritz Meisnitzer
Veröffentlicht: 1964
Status: Deutsche Erstveröffentlichung
Seiten: 156

Autor: Benjamin Capps
Realname: Benjamin Franklin Capps

Galerie Fazit

Veröffentlicht: 28.11.2024

Rezension von Reinhard Windeler

Hintergrund

Der Texaner Benjamin Capps (1922 – 2001) gehört zu den wenigen Autoren, die sowohl in der Belletristik wie auch im Sachbuchbereich reüssierten. Er schrieb zwei Bände der TIME-LIFE-Reihe „Der Wilde Westen“ (“Die Indianer” und “Die großen Häuptlinge”) und erhielt einen Wrangler Award für das Sachbuch „The Warren Wagontrain Raid“ (1974), aber auch Spur Awards für drei Romane (“The Trail to Ogallala”, “Sam Chance” und “The White Man’s Road”), von denen jedoch nur „Das endlose Treiben“ auf Deutsch erschienen ist.

Die Anzahl seiner Werke ist sehr überschaubar, ein Vielschreiber war er nicht. Bei ihm geht Qualität über Quantität. Als der hier besprochene Roman erschien, war er bereits 40 Jahre alt. Dennoch war es sein Romandebüt. Was in diesem Fall allerdings nur heißt, dass es der erste Roman war, für den er einen Verleger fand, denn geschrieben hatte er zuvor schon jahrelang.

Inhalt

Das texanische Städtchen Comanche Wells wird in eine Art Ausnahmezustand versetzt, als die Geschworenen des dort ansässigen Bezirksgerichts Bill Ivey wegen der Ermordung des zwölfjährigen Sohnes eines Schäfers schuldig sprechen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Ivey zuvor mehrere Männer erschossen hatte, die im Verdacht standen, Viehdiebe zu sein. Belangt werden konnte er dafür nicht, weil er sich zu den Tatzeiten angeblich immer anderswo aufhielt und es dafür Zeugen gab. Es ist die örtliche Rinderzüchter-Vereinigung, die bisher ihre schützende Hand über ihn gehalten hat.

Dieses Mal gibt es kein Alibi, und Ives wird zum Tode verurteilt. Richter Albert Pendergrass setzt den Hinrichtungstermin ziemlich kurzfristig fest, rechnet aber damit, dass die Rancher versuchen werden, Ivey aus dem Gefängnis zu befreien. Um das zu verhindern, verlässt er sich auf Sheriff Bell und dessen drei Deputies.

Pikant ist, dass der starke Mann der Rancher-Fraktion Stephen Pendergrass ist, der ältere Bruder des Richters. Pendergrass versucht auf verschiedenen Wegen, die Vollstreckung des Todesurteils zu verhindern, allerdings erfolglos. Seine Sorge ist, dass Ivey im Angesicht des eigenen Todes verraten könnte, wer ihn für die Morde an den angeblichen Viehdieben bezahlte, denn dazu gibt es nur Vermtungen und Gerüchte.

Als die Hinrichtung unmittelbar bevor steht, entschließen sich die Rancher zu einem offenen Angriff auf die Stadt, der aber vom Sheriff und seinen Männern, die mittlerweile von ein paar Texas Rangers und einigen eigens dafür verpflichteten Bürgern unterstützt werden, zurückgeschlagen wird. Im letzten Moment versucht Ivey selbst, einen Aufschub zu erwirken, indem er anbietet, den Namen seines Auftraggebers preis zu geben.

Mehr anzeigen... (Achtung-Spoiler!)

Aber der Sheriff und der Richter lassen sich auf keinen Handel ein. Als Ivey bereits unter dem Galgen steht, reitet ein mit ihm befreundeter Mexikaner auf den älteren Pendergrass zu, erschießt ihn kaltblütig und entkommt. Ivey ruft, dass der Rancher sein Versprechen, ihn zu schützen, nicht eingehalten hat. Gleich danach wird sein Todesurteil vollstreckt.

GALERIE (4 Bilder)

Insgesamt gibt es bis heute 12 Nachdrucke (inkl. e-Books).

Bild 01-02: HEYNE TB 2047 – Cover und Rückseite
Bild 03-04: Porträtfotos von Benjamin Capps

Für mehr Infos einfach mit der Maus über die Bilder fahren oder anklicken.

Fazit

Erzählt wird die Geschichte überwiegend aus der Perspektive eines der drei Deputies, Bart Youngblood. Ihm sowie den ungleichen Pendergrass-Brüdern haucht der Autor Leben ein, über sie erfährt der Leser im Laufe der Geschehnisse einiges, während die Charakterzeichnung weiterer auftretender Personen – seien es der Sheriff, die beiden anderen Deputies, Youngbloods hochschwangere Ehefrau, sein Onkel oder die übrigen Rancher und der örtliche Zeitungsverleger, ja, sogar der Mörder – deutlich knapper ausfällt und sie damit eher blass bleiben.

Die Ermordung des Schäferjungen weckt nicht zufällig Assoziationen zu der Tat, wegen der der berühmt-berüchtigte Tom Horn 1903 hingerichtet wurde; Capps bestätigte selbst, dass jener Fall das Vorbild für seine Version war.

Diese spielt allerdings deutlich früher, vermutlich im Jahre 1882, zumindest, wenn man Capps beim Wort nimmt, dass der 7. Juli ein Freitag war (S. 68). Comanche Wells steht am Scheideweg zwischen dem alten Wilden Westen, als das Recht des Stärkeren galt und Männer glaubten, das Recht in die eigene Hand nehmen zu können und zu müssen, und der neuen Zeit, in der Recht und Gesetz von staatlichen Stellen ausgeübt und gewährleistet werden. Stephen Pendergrass steht für die alte Zeit, Albert Pendergrass ist bereits ein Repräsentant der neuen.

Albert war bis zu einem Reitunfall sogar der stärkere der beiden Brüder, musste aber aufgrund seiner mit 28 Jahren erlittenen Körperbehinderung das Leben auf der Ranch aufgeben, woraufhin er erst den Entschluss fasste, Jura zu studieren. Seine Prinzipienfestigkeit hat ihn eine größere Karriere gekostet, aber er hat sich damit arrangiert: „Wenigstens müssen die Leute sagen, daß man im Bezirk von Pendergrass sein Recht bekommt!“ (S. 92).

Stephen hingegen, der neben der Ranch auch noch eine Bank betreibt und ironischerweise derjenige von beiden ist, der über eine große Bibliothek verfügt, die sogar Albert neidisch werden lässt – „Das allein läßt mich wünschen, daß ich ein Bankier wäre statt ein Richter“ (S. 74) –, ist immer noch davon überzeugt, dass er seine Interessen mit Geld und Macht, mit Bestechung und Drohungen durchsetzen kann, und notfalls eben auch mit Gewalt. Er vermag nicht zu erkennen, dass er mit dieser Einstellung letztlich scheitern muss. Tragikomisch ist seine Begründung dafür, dass Ivey unschuldig sein müsse: „Du kannst überzeugt sein, wenn Ivey den verdammten Bengel von dem Schäfer erschossen hätte, dann hätte er auch ein Alibi!“ (S. 40).

Youngblood ist ein pflichtbewusster Deputy, der drauf und dran ist, das Angebot seines Onkels anzunehmen, Vormann auf dessen Ranch zu werden. Er ist aber nach wie vor loyal und eine tatkräftige und gewitzte Stütze für den Sheriff und den Richter. Am Ende des Romans entschließt er sich, den Job als Gesetzeshüter doch nicht aufzugeben, und zieht er sogar in Betracht, ebenfalls ein spätes Jura-Studium zu beginnen; er kündigt zudem an, seinen neugeborenen Sohn Albert zu nennen. Das hätte Capps sich vielleicht sparen sollen, es wirkt doch arg aufgesetzt.

Insgesamt setzt die Geschichte – trotz Schießereien und Faustkämpfen, die auch vorkommen – mehr auf Wortgefechte, insbesondere zwischen den Pendergrass-Brüdern (S. 37 – 43, 73 – 80, 90 – 93, 131 – 136). Sie ist daher ein Mittelding zwischen einem der üblichen Western – dem, was in den USA „formula western“ genannt wird – und ernsthafter Literatur (womit ich selbstverständlich nicht suggerieren möchte, Western bildeten ein minderwertiges Genre). Man könnte auch sagen, es ist ein Justizdrama im Western-Gewand.

Die Übersetzung ist durchaus gelungen und liest sich ohne größere Stolperer. An einigen Stellen ist aber unverkennbar, dass es nicht der Originaltext ist, beispielsweise wenn immer einmal wieder jemand „unter der Tür“ steht.

Reinhard Windeler, Oktober 2024

 Bewertung

7 von 10 Revolverkugeln